Reisebericht 12: Bei den kirgisischen Nomaden am Song-Köl See

Von Bischkek, der Hauptstadt Kirgisiens und wirtschaftliches Zentrum der 5 Mio Republik, brechen wir mit einem Taxi Richtung Song-Köl auf, einem Bergsee auf über 3000 m Hohe, um während einigen Tagen das Nomadenleben der Kirgisen auf der Alp kennenzulernen. In der Tat wird uns schnell klar, warum Kirgisien als die 2. Schweiz bezeichnet wird: über 90% des Landes sind Berge, darunter viele Siebentausender. Ironischerweise gibt es in Bischkek auch viele Banken. Bei einem mittleren Monatseinkommen von nur gerade 30 USD und dem Fehlen einer Industrie kann aber Kirgisien wenig mit der Schweiz mithalten. Immerhin hat das Land von allen ehemaligen Sowjetrepubliken die weitgehendesten Privatisierungsschritte unternommen und fördert auch den Tourismus, der eine willkommene Einnahmeqülle darstellt. So begegnen wir überall freundlichen und hilfsbereiten Menschen, nur die Taxifahrer haben sich schon ans Ausnehmen der Touristen gewöhnt.

Über Feldwege und Prärie fahren wir mit unserem Taxi zum See, 100 km von der nächsten Stadt Kochkorka, und etwa 300 km von Bischkek entfernt. Während es noch in Hauptstadt 35-40 Grad warm war, wird schnell klar, dass auf dem Hochplateau des Sees andere Witterungsbedingen herrschen. Wir werden sobald während eines 5-stündigen Ausrittes auf Pferden von eisigem Regen und Wind überrascht und sind froh, in der Jurte unserer Gastgeber zuflucht zu finden. Die Gastgeber selbst ist eine Lehrerfamilie aus Kochkorka, welche mit ihren sechs Kühen, Pferden und einigen Hühner den Sommer auf der Alp verbringen. Im Winter ist es ihnen zu kalt (bis –40 Grad). Auch wir frieren am nächsten morgen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und einem harrschen Wind. Sogar ein Huhn liegt erfroren vor der Eingang der Jurte. Es ist aussergewöhnlich kalt für den Monat August.

Der grosse See gibt reichliche und sehr schmackhafte Nahrung her: Fische in allen Grössen, welche über dem Herd gebraten herrlich schmecken. Die Jurte wird mit dem Lastwagen transportiert, die Tiere gehen 2-3 Tage zu Fuss. Die Wände und Decken der Jurte sind mit selbstgemachten Filzteppichen, sogenannten Shyrdaks, bedeckt, welche vor Wind und Kälte schützen. Rund um den See in den Bergen gibt es auch noch seltene Tiere und Pflanzen. Gleich neben der Jurte wachsen Edelweis gleich büschelweise. Diese sind hier so häufig wie in der Schweiz der Löwenzahn. Rare Spezies sind das Marco Polo Schaf (von Marco Polo bei seinen Durchreisen hier entdeckt), Wölfe, Gänse, Mufflons, und Adler. Unterwegs zu Pferd sehen wir aber keine von diesen, dafür Duzende von Murmeltieren und Tausende von Mäusen, welche in Abwesenheit von Katzen paradisisch zu leben scheinen. Dass Reiten und insbesondere Galoppieren geübt sein muss, merkt Petra schliesslich auch auf weniger angenehme Art. Einmal brennt ihr Pferd durch und lässt den Reiter schliesslich zu Boden fallen. Zum Glück ist der Boden weich und Petra gleich wieder auf den Beinen.

Die traditionelle Nahrung neben dem Fisch sind Suppen aller Art, Teigwaren und Mehlspeisen. Diese letzteren sind natürlich aus der Stadt mitgebracht. Besonders schmeckt und eine Art Crème freche, welche nach dem Melken der Kühe von der Gastfamilie am frühen Morgen frisch zubereitet wird. Schliesslich probieren wir auch das Kirgisische Nationalgetränk: fermentierte Pferdemilch (Kymys), welche uns aber zu sauer schmeckt. Während in Sowjetzeiten hier noch Tausende von Bauern ihre Kühe weiden liessen, sind jetzt um den 100 km2 grossen Bergesee, nur noch ein gutes Duzend Yurten mit ihren Tieren zu sehen. Schlichtweg zu teuer sei die Fahrt zu dem See geworden, heisst die lapidare Antwort.

Wir treffen am Bergsee und in Kochkorka auch einige Schweizer. Die Organization ‘Shepherd’s Life’, welche unseren Jurten-Aufenthalt organisiert und in den Bergen ‘homestays’ bei mehreren Duzend Familien anbietet, wurde von Susanne und Werner, einem Schweizer Ehepaar gegründet, welche 4 Jahre in Kochkorka für ein Helvetas-Projekt gearbeitet hatten. So kommen wohl alle Schweizer, die sich gerade im Land befinden, und das sind nicht wenige, einmal hierher.

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Last update: 25.9.2000, © Marco Ziegler