Reisebericht 15: Im Zug von Urumqi nach Xian bis ans Ende der Seidenstrasse

 

In Urumqi, der nordwestlichsten Grossstadt Chinas, wird heftig gebaut, überall stehen Bauleute und riesige Kranlifte, um neü Wolkenkratzer gegen den Himmel wachsen zu lassen. Urumqi ist eine schnell expandierende Wirtschaftsmetropole der ganzen Region, bietet allerdings keinerlei Spuren von älteren Kulturen mehr. Interessant ist die bergige Umgebung mit vielen Bergseen und eindrucksvollen Tälern. In der autonomen Republik Xinjiang, die auch schon blutig unterdruckte Unabhängigkeitsbestrebungen erlebt hat, wird nebst Chinesisch auch Arabisch geschrieben. Umgangssprache ist Uigurisch, eine Turksprache. Allerdings wird die Region bewusst auch von vielen Han-Chinesen besiedelt, und so entsteht eine farbige Mischung aus verschiedensten Kulturen.

Mit dem Zug erreichen wir nach einige Stunden Fahrt durch Steppen- und Wüstengebiete das Turfanbecken, eines der tiefstgelegenen Gebiete (-154 m) der Welt und dementsprechend trocken und heiss. Turfan selbst ist eine blühende Oasenstadt, wo Datteln und allerlei süsse Früchte wachsen. Wir fahren im Zug 3. Klasse, auf harten Sitzen in einem überfüllten, unklimatisierten Wagen. Schlafplätze (1. oder 2. Klasse) waren keine mehr vorhanden, diese hätte man Wochen vorher reservieren müssen. So fahren wie der Grossteil der Chinesen auch. Geschlafen wird auf dem Boden unter den Sitzen, in den Gängen, auf den Gangboden oder auf der Gepäckablage über Dutzenden von Koffern. Allerdings kommen wir kaum zum Schlafen, denn im Zug wird einiges an Unterhaltung geboten. So müssen wir mit den Chinesen bis tief in die Nacht um die Wette singen. Unser Zugwagen ist bis zum Bersten voll mit Leuten, für den Zugführer und die Minibar kaum mehr ein Durchkommen. Getränke und Essen werden uns von allen Seiten offeriert, und wir können die grosszügigen Angebote natürlich nicht ablehnen. Schliesslich sind wir als einzige Weisse im Zug wohl eine besondere Attraktion. Zum Schluss verteilen wir Autogramme und lassen uns mit unseren Mitfahrenden photografieren. Einige chinesische Studentinnen können auch sehr gut Englisch und helfen uns bei der Kommunikation. Wir sind überwältigt von der Freundlichkeit der Mitfahrer. Weniger gefällt uns, dass der Zug nach wenigen Stunden bereits wie ein Schweinestall aussieht: Abfälle werden einfach auf den Boden geworfen, die Toilette ist kaum mehr benutzbar. Beim Essen schlürfen und schmatzen die Chinesen mächtig, gerne wird auch gerülpst und zwischendurch auf den Boden gespuckt. Tja, andere Länder, andere Sitten. Nach 50 Stunden Fahrt im Zug, sind wir froh, den Zug in Xian verlassen zu können. Zu erwähnen ist, dass während der ganzen Fahrt wohl nie jemand ausgestiegen ist, aber bei jeder Station wohl einige hundert Leute einsteigen. Wir reisen gerade zur Hauptverkehrszeit, am 1. September beginnen überall in China die Universitäten, und viele Studenten fahren von ihren Heimatstädten an die Studienorte. Wir müssen froh sein, überhaupt ein Ticket bekommen zu haben.

Nach zwei Monaten Fahrt mit Zug und Bus seit Beginn in Istanbul erreichen wir schliesslich Xian, wo die Seidenstrasse ihren ursprünglichen Anfang nahm. Früher dauerte eine Reise mit Pferd und Wagen von Istanbul nach Xian wohl mindestens zwei Jahre, natürlich ohne touristische Abstecher. Xian war bis vor einigen hundert Jahren die grösste Stadt der Welt und Residenz von elf Dynastien. Siedlungsspuren finden sich bis zum 4. Jahrtausend vor Christus: das Dorf Bambo, welches matriachalisch organisiert gewesen sein soll. Die imposantesten Überreste sind allerdings die Gräber der Kaiser der Qin. Der Grabhügel des Kaisers Qin Shi Hunagdi (221-210 v. Chr.) liegt 30 km nördlich von Xian. Bei dem Bau der Anlage wirkten 720000 Arbeiter während mehrer Jahre. Die riesige Grabanlage selbst ist noch ungeoffnet und Grabungsarbeiten sind im Gange. Die immensen Dimensionen und der zusammengefallene Grabhügel machen die Arbeiten wohl sehr schwierig. In einem nahegelegenen Museum wurde die ganze Grabanlage nach Beschreibungen von Qüllen rekonstriert. Der Sarkopharg des Kaiser soll auf einer Miniaturlandschaft gelegen haben, welche die riesigen Ausmasse seines Reiches symbolisiert hat. Flüsse und Seen wurden aus Qücksilber gebildet (tatsächlich hat man unter dem Grabhügel grosse Mengen davon gefunden), ein Himmelsgwölbe mit einer Darstellung der Welt überdachte das über 100 m hohe Grab. Zeugnis der Mächtigkeit des Kaisers ist auch die Terrakotta-Armee, welche als Grabbeigabe diente. Über 8000 lebensgrosse Soldaten, Pferde und Streitwagen aus Ton bewachten das Grab, metertief in die Erde eingelassen. Die Schöpfer dieser Armee wurden nach dem Bau ebenfalls getötet, sodass niemand von dieser Grabbeigabe erfahren konnte. Tatsächlich ist die Terrakotta-Armee in keiner Schrift erwähnt. 1974 entdeckten Bauern bei Bohren eines Brunnens einige Fundstücke, und darauffolgende Grabbungen legten den sensationellen Fund frei. Das unterirdische Heer entspricht in seiner Anordnung der Schlachtordnung der kaiserlichen Armee mit einem rechten und linken Flügel sowie einer zentralen Einheit. Ein General hinter seinem Streitwagen führte das Kommando. Heute ist die Terrakotta-Armee und das Qin-Grab eine Haupttouristenattraktion Chinas mit mehreren Millionen Besuchern pro Jahr. Entsprechend wurden riesige Hallen und Museen, welche die Ausstellungsstücke zeigen, gebaut. Nebst diesem Grab gibt es in Xian aber auch noch Mausoleen diverser anderer Kaiser zu besichtigen. Wer weiss, ob dort nicht auch noch solche versteckten Grabbeigaben liegen! In der Stadt gibt es zwei wunderbare Museen, welche einen Einblick in die chinesische Kultur bieten. Im Stelen-Museum sind 3000 riesige Tonsteine (‘Stelen’) mit Inschriften aufbewahrt. Diese dienten vor 2000 Jahren als Bibliothek und verkündet die Lehre des Konfuzius und anderer Mönche. Mit der Seidenstrassen kamen auch die Religionen Indiens (Buddhismus) und des Abendlandes (Muslim) nach China. So ist es nicht verwunderlich, dass am Ende der Seidenstrasse nebst Pagoden und Tempeln auch Moscheen zu sehen sind und selbst noch viele Moslems in Xian wohnen. Die Frauen hüllen sich dabei in weisse Kopftücher. Xian selbst ist auch eine lebendige Handelstadt geblieben. Märkte und Strassenläden folgen sich durch enge Gassen und auf breiten Boulvards. Gegessen wird alles, was wächst oder sich bewegt. Die Auswahl an Restaurants ist riesig: von Strassenbuden, wo allerlei leckere Volksspeisen angeboten werden, bis zum Erstklassrestaurant, wo in der Eingangshalle Fische, Krabben, Moränen, Aale, Schildkröten, und Frösche auf ihren Verzehr warten. Wie lecker diese sind, wollen wir aber zu einem späteren Zeitpunkt ausprobieren.

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Last update: 25.9.2000, © Marco Ziegler